Kinky Friedman ist tot: Sein Spott traf Rabbis wie Reaktionäre – Nachruf (2024)

Kinky Friedman hatte die kuriose Angewohnheit, am Ende eines Konzerts nicht hinter der Bühne, sondern durch die Reihen des Publiku*ms zu verschwinden. Wobei er, wenn ihm danach war, einem einzigen Zuschauer, vielleicht stellvertretend für alle, fest und verbindlich die Hand schüttelte. In diesem Moment war er alles, was er auch im Leben gewesen war: ganz dankbarer Musiker und ganz leutseliger Politiker – noch dazu ganz Schriftsteller, der weiß, was als gute Geschichte erzählt werden kann über einen reichlich widersprüchlichen Charakter.

Richard Samet »Kinky« Friedman wuchs als Sohn russisch-jüdischer Emigranten nicht in New York oder Boston, Los Angeles oder San Francisco – sondern auf einer Farm in Texas auf. Früh entschied er sich, weder den jüdischen noch den texanischen Teil seiner Persönlichkeit zu verstecken. Vielmehr betonte er beide Seiten, zwang sie förmlich zueinander. Nach dem Studium der Psychologie diente er für zwei Jahre beim US-Friedenscorps auf Borneo, wo er seine ersten Songs schrieb – meistens Verballhornungen bestehender Genres.

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Die erste Band, mit der er zu Beginn der Siebzigerjahre große Erfolge in der Countryszene feierte, nannte er The Texas Jewboys. Titel wie »They Ain’t Makin' Jews Like Jesus Anymore« unterstrichen den satirischen Anspruch seiner Musik, die in alle nur denkbaren Richtungen austeilte – vom Rabbi bis zum reaktionären »Asshole from El Paso«. Als ihn eine US-Frauenorganisation wegen des Songs »Get Your Biscuits in the Oven and Your Buns in the Bed« zum »Chauvinist Pig of the Year« ernannte, bedankte er sich mit dem Lied »Yes, I’m the Sexiest«.

Er ging auf Tournee mit Bob Dylan, kiffte mit Willie Nelson und nahm für sich in Anspruch, der erste »Vollblutjude« gewesen zu sein, der jemals in der Grand Ole Opry von Nashville aufgetreten ist. Als der Country immer konservativer wurde und seine musikalische Karriere ins Stocken geriet, verlegte sich Friedman zu Beginn der Achtzigerjahre auf das Schreiben klassischer Hardboiled-Krimis – mit einem Helden namens Kinky Friedman, ehemals Countrysänger, heute Detektiv.

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Seinen bissigen, humorvollen Ton rettete er ohne Abstriche in seine Romane – und versuchte, damit 2006 als Gouverneurskandidat für Texas zu reüssieren. Sein Auftreten war da schon längst eine Marke. Friedman trat nie ohne Cowboystiefel, Cowboy und Zigarre auf, trug Schnurrbart und Koteletten. Sein Slogan als Kandidat für das hohe Amt lautete: »Wie schwer kann es schon sein?«. Die Kampagne betrieb er mit der gleichen Ernsthaftigkeit, mit der ein Geistesverwandter wie Frank Zappa einst als Präsidentschaftskandidat angetreten war. Er wollte seinen palästinensischen Friseur als texanischen Botschafter nach Israel schicken, dort Olivenöl herstellen und die Erlöse arabischen wie israelischen Kindern zugutekommen lassen.

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Auch nach seiner Wahlniederlage (er bekam 12,6 Prozent der Stimmen) setzte er sich für eine Legalisierung von Cannabis ein, für eine bessere Sicherung der Südgrenze von Texas gegen illegale Einwanderung und die gleichgeschlechtliche Ehe. »Die Schwulen«, meinte er, »haben das gleiche Recht wie wir alle, unglücklich zu sein«. Eine bessere Bezahlung von Lehrern wollte er durch die Legalisierung des Glücksspiels finanzieren.

Sein Kultstatus als Maverick und Agent Provocateur brachte es mit sich, dass er zugleich mit Bill Clinton und George W. Bush befreundet sein konnte. Von Nelson Mandela ist überliefert, er habe in seiner Haft zum Trost den satirischen Country dieses texanischen Juden gehört.

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Mit »Sold American« ist ihm gleich auf seinem ersten Album mindestens ein Song geglückt, der in Haltung und Melodie die Zeiten überdauern wird – es ist vielleicht das beste Lied, das Bob Dylan nie geschrieben hat. Und die viel zitierte Lebensweisheit »Finde, was du liebst, und lass dich davon töten« wird fälschlicherweise Charles Bukowski zugeschrieben – sie stammt von Kinky Friedman.

In den letzten Jahren litt der »Kinkster« an Parkinson und widmet sich auf seiner Farm in Texas einem Refugium für alte, entlaufene und misshandelte Tiere. Gern erzählte der passionierte Katzenliebhaber die Geschichte, dass alle Tiere, die wir im Leben jemals besessen haben, bei unserem Tod im Himmel auf uns warten.

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Dass er beim Konzert zum 90. Geburtstag von Willie Nelson im April 2023 nicht aufgetaucht ist, war schon ein schlechtes Zeichen. Nun hat er im Alter von 79 Jahren seine letzte Zigarre geraucht, ist ins Bett gegangen und nicht wieder aufgewacht.

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